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“Ich würde mehr verdienen, wenn ich dieselbe Arbeitszeit bei einem Discounter Regale einräumen würde.”– Interview mit Mellany Amar

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Berufe & OrientalischerTanz

In Teil 3 der Interviewserie Berufe und Orientalischer Tanz antwortet Mellany Amar, Leiterin der Tanzschule OT pur und erste Vorsitzende des Bundesverbands Orientalischer Tanz e.V., auf meine Fragen.

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Mellany Amar
Was genau arbeitest du?

Ich bin Inhaberin der Frankfurter Bauchtanzschule OT pur und sehe mich damit in erster Linie als Unternehmerin.

Ich unterrichte Kurse, Workshops und Projekte in meiner Tanzschule.

Eher selten nehme ich Auftritte für Geld an. Hin und wieder werde ich für WS außerhalb Frankfurts engagiert.

Seit wann machst du das hauptberuflich und wie kam es dazu?

Ich habe 2008 nebenberuflich angefangen, die Tanzschule aufzubauen. Mir war 2007 eine Schule für Orientalischen Tanz zum Kauf angeboten worden.

Ich habe 2008 nebenberuflich angefangen, die Tanzschule aufzubauen.

Zuvor hatte ich noch nie über eine Selbständigkeit, geschweige denn in dieser Branche, nachgedacht.

Ich hatte 1999 mit dem Unterrichten angefangen und damals mehrere Kurse pro Woche bei verschiedenen Trägern unterrichtet.

Aus dem Kauf wurde nach acht Monaten Verhandlungen nichts, aber ich hatte mich in dieser Zeit so intensiv mit dem Thema beschäftigt, dass ich einen Versuch wagen und meine eigene Tanzschule eröffnen wollte. Nebenberuflich.

Ich hatte einen wirklich tollen, sehr gut bezahlten Bürojob mit unbefristetem Vertrag, den gibt man nicht so leicht auf. Und ein kleines Kind, das macht sicherheitsbewußt.

Die Tanzschule lief gut an und auf der Arbeit häuften sich die Probleme. Irgendwann war es einfach nicht mehr möglich, beides unter einen Hut zu bringen und das Kind nicht zu vergessen. Die Belastung nahm überhand, und ich zog die Notbremse und entschied mich für die Tanzschule.

Seit Mai 2010 bin ich also hauptberufliche Tanzschulinhaberin. Zunächst mit 15 Monaten staatlicher Förderung (Gründungszuschuss), danach auf eigenen Beinen stehend.

Seit Mai 2010 bin ich hauptberufliche Tanzschulinhaberin.

Natürlich hat mein Mann in dieser Zeit ebenfalls Geld verdient. Wir sind aber nicht verheiratet und führen eine in Sachen Geld eher ungewöhnliche Beziehung: Jeder hat sein eigenes Geld.

Gemeinsame Kosten, zum Beispiel Miete, werden gemeinsam getragen. Niemand “finanziert” den anderen in irgendeiner Form. Das hätte mein Mann auch nicht leisten können. Es war von Anfang an klar, dass ich finanziell auf eigenen Beinen stehen muss.

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Logo OT pur
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Eingangsbereich
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Tanzsaal
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Tanzsaal
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Weißwand

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?

Den gibt es nicht. Es gibt einige Aufgaben, die fast täglich anfallen, aber nicht unbedingt zu immer gleicher Zeit.

Ich sitze sehr viel im Büro. Je nach Tag und anfallenden Aufgaben 4-8h, vor größeren Veranstaltungen schon mal 10-12h täglich. Ich bin viel online.

Ich bin allein verantwortlich für Werbung, Buchhaltung, Organisation, Telefon, Dozentenbetreuung usw.

Ich bin allein verantwortlich für Werbung, Buchhaltung, Organisation, Telefon, Dozentenbetreuung usw.

Eine Sekretärin kann ich mir zur Zeit nicht leisten; einen Steuerberater, der meine Unterlagen prüft und bucht, gönne ich mir.

Abends unterrichte ich Kurse. Auch am Wochenende. Training zweier Auftrittsgruppen, Auftritte und eigene Shows/Veranstaltungen, Workshops mit Gastendozenten kommen hinzu.

Ich habe schon zweimal in den letzten 6 Jahren kurz vor dem absoluten Burnout gestanden.

Ich versuche, mir einen Abend pro Woche frei zu halten und mir auch die Wochenenden nicht zu überladen.

Ich habe schon zweimal in den letzten 6 Jahren kurz vor dem absoluten Burnout gestanden.

Welche deiner Aufgaben machst du besonders gern? Welche nicht so?

Natürlich unterrichte ich gerne, besonders Workshops. Und Auftritte.

Termineinträge vornehmen ist absolut schrecklich für mich (da hilft mir eine ganz liebe Ensemblefrau auch tatkräftig).

Ja, meine Steuerunterlagen für den Steuerberater einmal im Quartal vorsortieren finde ich auch nicht so prickelnd.

Und: Mag jemand Online-Banking?

Was sind die wichtigsten Fähigkeiten, die du in deinem Beruf brauchst?

Diplomatie, Durchsetzungskraft und Selbstdisziplin.

Wieviel verdienst du mit deiner Arbeit?

Tja, ein heikler Punkt für viele One-Woman-Shows, nicht nur im orientalischen Tanz. Der Gewinn steht in keinem Verhältnis zur Arbeitszeit, die man in sein “Projekt” steckt.

Der Gewinn steht in keinem Verhältnis zur Arbeitszeit, die man in sein Projekt steckt.

Ich würde mehr verdienen, wenn ich die gleichen Arbeitsstunden bei einem Discounter Regale einräumen würde ;).

Vor 2013 konnte ich mich nicht beklagen. 2013 sind erst die Workshopeinnahmen, dann die Kurse eingebrochen. War kein gutes Jahr. Eine Trennung und dadurch erhöhte Kosten, die ich alleine zu tragen hatte, kamen hinzu.

2014 sieht wieder besser aus (in allen Bereichen Image may be NSFW.
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:)
).

Als Selbständige gibt es kein regelmäßiges und verlässliches Einkommen.

Und kein zum Arbeitsaufwand proportionales Einkommen. Wenn man vorher jahrelang als Angestellte gelebt hat, ist das erstmal beunruhigend und sehr gewöhnungsbedürftig.

Aber “Hungerjahre” gehören dazu. Die darf man auch nicht persönlich nehmen und sich die Schuld daran geben.

Wenn wir mal das miese Jahr 2013 außen vorlassen, liege ich nach Abzug aller betrieblichen Ausgaben und Steuern bei einem Einkommen von 20.000 Euro.

Davon muss ich alle privaten Ausgaben und Einkommenssteuer zahlen. Ein halbes Gehalt für eine 60-80h-Woche…

Außerdem muss ich davon auch noch das zahlen, was in der Regel von einem “normalen” Arbeitnehmergehalt schon abgezogen ist, wenn es auf dem Konto erscheint, nämlich die Sozialversicherungen.

Ich zahle Krankenversicherung und bin nicht gesetzlich rentenversichert, muss also Rücklagen für die Rente (und schlechtere Zeiten) bilden.

Ein halbes Gehalt für eine 60- bis 80-h-Woche…

Meine Tanzschule besteht jetzt 6 Jahre, davon 2,5 Jahre nebenberuflich.

Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer noch “im Aufbau” befinde. Eine zähe Angelegenheit, die ich deutlich unterschätzt habe (dazu reicht ein Blick in meinen Businessplan Image may be NSFW.
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;)
).

Die Auslastung ist noch nicht voll gegeben. Ich denke, da geht noch was, aber Riesensprünge werden das sicher nicht mehr.

Hast du es jemals bereut, dass du dein Hobby zum Beruf gemacht hast?

Ja, 2013. Die Tanzschule “war an allem schuld”: An meiner finanziellen Misere, unserer Trennung, den Schulnoten meiner Tochter…

Wenn’s nicht so läuft, kommen einem solche Gedanken und natürlich habe ich ein wenig meinem alten Job nachgetrauert.

Was waren die größten Umstellungen beim Schritt in die Professionalität?

Die Kündigung. Ich bin eine halbes Jahr auf Wolken gelaufen und habe mich unheimlich erleichtert gefühlt.

Nicht so schön sind die wenigen freien Abende und die wenige Zeit, die man mit Partner und Familie verbringen kann, weil man immer genau dann arbeitet, wenn alle anderen frei haben…

Wo siehst du dich und dein Studio in zehn Jahren?

Hoffentlich in größeren Räumlichkeiten – zwei Räume wären schon schön, man ist flexibler, kann mehr Kurse zu den Kernzeiten anbieten.

Ich möchte mehr Dozenten beschäftigen. Wir hatten einige Jahre Samba im Programm, vielleicht findet sich hierfür wieder eine Dozentin.

Als 1. Vorsitzende des BVOT siehst du die Bauchtanzszene sicher mit anderen Augen. Wie schätzt du die momentane Lage des Orientalischen Tanzes in Deutschland ein?

Auch als 1. Vorsitzende kann ich nur ganz persönlich sprechen. Es ist ja nicht so, dass wir im BVOT Studien betreiben und in ständigem Kontakt zu allen Mitgliedern stehen… Würden wir gerne, ist uns zeitlich aber leider nicht möglich.

Das Bild, das ich im Moment vom OT in Deutschland habe, gründet sich eher auf meiner privaten Erfahrung als Selbständige in dieser Branche, als auf meine Tätigkeiten als 1. Vorsitzende.

Ich glaube, wir stecken im Moment in einem “Bauchtanz-Tief”.

Ich glaube, wir stecken im Moment in einem “Bauchtanz-Tief”. Gerade in der Großstadt rennen die Frauen zur Zeit zum Beispiel lieber in Zumbakurse – die entsprechen mehr dem Zeitgeist.

Als Teilnehmerin muss ich mich nicht tiefer damit beschäftigen. Herkunft, Hintergrundwissen, Bewegungsvielfalt, Improvisation und Techniktraining fehlen meist.

Es gibt noch einige andere Sport-/Bewegungsformen, bei denen das ähnlich ist. Sie sind im Gegensatz um OT “oberflächlich”. Das gefällt vielen Teilnehmer/inne/n.

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Bauchtanzkurs

Ich kann’s auch verstehen: Die wenigsten möchten sich nach einem anstrengenden Berufsalltag auch noch in der Freizeit mit Lernen beschäftigen, mit Rückschlägen und Enttäuschung, wenn´s mal nicht so klappt.

Außerdem erfordert Orientalischer Tanz eine gewissen Anlaufzeit und ein regelmäßiges Training, wenn es gut aussehen soll.

Ich mache die Erfahrung, dass Großstadtfrauen (in meinen Kursen finden sich nur Frauen), oft nicht die Zeit und/oder die Ausdauer haben. Naja, das kennen wir ja seit einigen Jahren aus allen Bereichen des täglichen Lebens.

Wir machen uns das Geschäft selbst kaputt.

Die Auftritte sind schon seit Jahren rückläufig (auch hier kann mich nur wieder zur Situation in der Großstadt äußern) – nein, halt, das stimmt nicht ganz. Anfragen mag es genügend geben, aber die Gagen haben sich verändert.

Die Leute sind geiziger geworden, was sich auch in der Höhe des Trinkgeldes wiederspiegelt. Mehr Tänzerinnen konkurrieren um eher weniger Auftrittsmöglichkeiten. Wir machen uns das Geschäft selbst kaputt.

Was hast du davon dich ehrenamtlich zu engagieren?

Ein großes Netzwerk liebgewonnener Frauen. Hilfe, Rat und Unterstützung. Diskussionen, frische Ideen.

Vielleicht auch einen ein klein bisschen höheren Bekanntheitsgrad – das scheint für viele erstrebenswert zu sein, ja, Neid zu wecken.

Mir ist nur nicht klar, was ich davon haben soll. Bis jetzt hat mir das noch keinen Cent mehr in die Kasse gespült.

Wenn du heute noch einmal von vorn anfangen würdest, was würdest du anders machen?

Ich hätte gerne noch ein wenig länger im Büro gearbeitet. Leider ließen betrieblichen Umstellungen und die lieben Kolleginnen, die teilweise anfingen, mir das Leben schwer zu machen, das nicht zu.

Ich hätte gerne noch ein wenig mehr angespart vor dem Schritt in die Selbständigkeit.

Ich hätte gerne noch ein wenig mehr angespart vor dem Schritt in die Selbständigkeit.

Wenn ich schon früher auf die Idee einer eigenen Tanzschule gekommen wäre, hätte ich zugesehen, mir zunächst einen deutschlandweiten Namen zu machen.

Bekanntheit spielt in unserer Szene eine große Rolle.

Die Leute buchen Workshops, wenn bekannte Dozenten auf der Verpackung stehen. Am besten noch aus dem Ausland ;). Der Prophet ist im eigenen Land wenig wert – mein Eindruck der Szene der letzten Jahre.

Bekanntheit spielt in unserer Szene eine große Rolle.

Und lauter schreien. Nur, wer ständig wirbt, auf sich aufmerksam macht, viel unterwegs ist, findet Beachtung. Naja, das war und ist mir mit Kind einfach nicht möglich.

Empfehle ich aber allen, die früh anfangen/planen können und familiär weniger gebunden sind.

Welchen Rat würdest du angehenden Studiobesitzer/inne/n geben?

Stell Dir folgende Fragen:

  • Bist Du wirklich bereit (mit allen Konsequenzen), die nächsten Jahr(zehnt)e ein eher mickriges Gehalt, hohe Arbeitszeiten und weniger Familienleben in Kauf zu nehmen?
  • Kannst Du ein Hintertürchen offen halten, ist eine Rückkehr in Deinen alten Beruf jederzeit möglich?
  • Und hast Du Erspartes, dass Du zu Beginn und die ersten Jahre in die Tanzschule investieren kannst?

Mach einen Businessplan und nimm professionelle Beratung und Hilfe in Anspruch.

Danke liebe Mellany für das ausführliche Interview und die spannenden Einsichten!

Hast du noch Fragen an Mellany? Dann schreib doch einen Kommentar!

Hier kannst du weitere Interviews zum Thema Berufe und Orientalischer Tanz lesen.

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Berufe & OrientalischerTanz


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