Das erste Interview der Serie “Berufe und Orientalischer Tanz” habe ich mit Sahéla, der Leiterin des Tanzstudio Bodywave in Wesel, geführt.
Was genau arbeitest du?
Ich unterrichte zur Zeit 7 laufende Kurse Orientalischen Tanz (war schon mal mehr aber man wird älter), 3 monatliche Zimbelprojekte, ein monatliches Tommelprojekt und jeden Monat regelmäßig Themen-Workshops im eigenen Studio. Dazu unterrichte ich ein Projekt einmal im Monat im Sauerland.
Außerdem arbeite ich als Gastdozentin in verschiedenen Studios in Deutschland, bin BATO-Dozentin beim Bundesverband Orientalischer Tanz und unterrichte in der Ausbildung CATT bei Beata und Horacio Cifuentes in Berlin.
Gastdozenten organisiere ich auch bei mir im Studio, seit Anfang 2014 sind wir BATO-Standort. Ich habe einige Leute, die zu mir in Einzelunterricht kommen oder von mir Choreografieren lassen.
Ab und zu gibt es mal bezahlte Auftritte, sie sind aber seltener geworden und nicht (mehr) mein Hauptgeschäft. Hin und wieder macht man einen Promoauftritt bei einer Kollegin oder einem Kollegen. Meine Schülerinnen und auch ich selber tanzen Promoauftritte für die Stadt Wesel.
In meinem Studio vermiete ich die Räume an andere TanzlehrerInnen, das kommt zu meinem Einkommen dazu. 2-3x im Jahr mache ich eine Veranstaltung in meinem eigenen Studio mit Show und Bazar.
Weil ich fast jedes Wochenende unterrichte, habe ich einen freien Tag unter der Woche, den ich aber trotzdem oft im Studio verbringe, mit Aufräumen, Blumen gießen usw.
Seit wann machst du das hauptberuflich und wie kam es dazu?
Seit 1990 trete ich auf und seit 1991 unterrichte ich. 1997 bin ich aus dem Büroberuf raus. Es war schon lang vorher mein heimlicher Wunsch, mehr als Tänzerin und vor allem als Trainerin zu arbeiten.Allerdings habe ich damals immer noch die Worte meiner ehemaligen Erziehungsberechtigten im Hinterkopf gehabt, dass man vom Tanzen nicht leben kann und einige andere Vorurteile.
Heute sage ich immer: “Ich bin das glänzende Beispiel dafür, dass man trotz Abi einen anständigen Beruf ausüben kann: Nämlich Bauchtänzerin.”
Ich habe nach meiner Ausbildung eine Zeitlang in einer ADTV Tanzschule gearbeitet: Morgens im Büro, Abends Kurse gegeben. Alles was anfiel. Von Walzercrashkurs über Bauchtanz bis hin zu Discofox für Anfänger, Vertretungsstunden usw.
Ich komme ja aus dem Turniertanz und hab mich in dieser Atmosphäre sehr wohl gefühlt. Es war ein großer Betrieb mit 3 Sälen und zahlreichen Tanzlehrern.
Als die dann leider ihre Pforten aus familiären Gründen schließen mussten, hab ich mich noch mal in einen Vollzeit-Büroberuf begeben und merkte schnell, dass das gar nicht mehr meine Welt ist.
Als ich 1997 konjunkturbedingt diesen letzten Bürojob verlor, habe ich mir gedacht: Jetzt oder nie!
Damals gab es noch eine kleine Förderung vom Arbeitsamt. Sie zahlten für das erste halbe Jahr die Krankenversicherung und halfen beim Finanzierungsplan. Außerdem hatte ich als Startkapital eine Abfindung vom Arbeitgeber.
Ich wollte auf keinen Fall Bankschulden machen. Und das habe ich in meinen ganzen Jahren nicht getan. Da bin ich sehr froh drum.
Da hab ich mir gedacht, ich versuche es ein Jahr lang. Mein dreißigster Geburtstag war für mich so ein Punkt, wo ich sagte: Bis dahin musst du es geschafft haben. Wenn es dann nicht klappt, kann ich in den ungeliebten Bürojob zurück.
Und dann boomte es auf einmal. Ich hatte mehr Schülerinnen, auf einmal Vormittagskurse, sogar ein Vormittags-Zimbelprojekt und war total viel auf Achse. Vielleicht hat das Schicksal nur drauf gewartet, dass ich endlich mal die Traute habe.
Nach nur einem Jahr stand es außer Frage, wohin der Weg geht.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?
Ich habe den Luxus, dass ich bis 8.30 oder auch mal 9.30 schlafe. Ab 10 oder 11 bereite ich eventuell Unterricht vom Vortag nach, mache Bürokram, Online Banking, Flyer, Webseite, Kontakte über soziale Netzwerke pflegen.
Am Nachmittag bereite ich dann den Unterricht für die kommenden Klassen vor, Freitags auch schon immer den Stoff für die Projekte am Wochenende. Bei größeren Workshops auch schon mal früher in der Woche.
Spätestens um 16.30 / 17 Uhr fahre ich zum Studio, die Klassen beginnen ab 18.00 Uhr, die zweite ab 19.30. Außer Freitags, da habe ich nur einen Kurs, danach aber schon mal kleine Workshops oder Privatunterricht.
So gegen 21.30 sind die letzten Schülerinnen raus, kurz aufräumen und ab nach Hause. Daheim eventuell noch was nachbereiten oder einfach auf die Couch fallen.
Wieviel verdienst du mit deiner Arbeit?
Die Zahlen sind geheim. Aber soviel sei gesagt: Ich konnte immer meine Miete zahlen und gehungert hab ich auch noch nie. Allerdings hätte ich mehr verdient, wenn ich in meinem alten Beruf geblieben wäre.
Das Einkommen schwankt als Selbständige ständig, vor allem Auftritte sind Saisongeschäft. Am stabilsten sind die Einnahmen aus den Kursen.
Wichtig sind Rücklagen. Es gibt Durststrecken und einmal habe ich in einer solchen echt überlegt, ob ich mir einen Aushilfsjob im Büro suche.
Zum Glück ging dieser Sommer auch vorüber und danach wurde es wieder besser. Aber man muss immer drauf vorbereitet sein, dass es mal nicht so gut läuft und finanziell vorsorgen.
Hast du Kinder? Wie bewertest du die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in deinem Job?
Ich bin seit fast 25 Jahren mit meinem Mann zusammen und er hat seit einigen Jahren einen Job mit ähnlichen Arbeitszeiten in der Veranstaltungstechnik. Dadurch sehen wir uns doch für unsere Arbeitsverhältnisse relativ regelmäßig.
Nein, Kinder habe ich nicht, dafür zur Zeit 2 Dackel und 4 Katzen. Das reicht. Es war nie der richtige Zeitpunkt für ein Kind. Es hat einfach nicht gepasst. Ich muss aber dazu sagen, dass es mich auch nie dazu gedrängt hat, Mutter zu werden.
Was nicht heißt, dass ich keine Kinder mag. Wir haben einen großen Garten mit großem Teich und Wasserfall und hatten und haben regelmäßig im Sommer jede Menge Kids aus der Nachbarschaft bei uns zum “Bötchenfahren”
Ich habe bis Sommer 2012 6 Jahre lang meine pflegebedürftige und schwerst gehbehinderte Schwiegermutter hier daheim gepflegt und ich habe gemerkt, wie mir das Energie für meinem Betrieb abgezogen hat.
Nun kann ich nicht beurteilen, wie das ist wenn man ein Kind hat, aber ich denke, die Problematik ist ähnlich: Arzttermine, Termine hier, Termine da. Nachts nicht schlafen können, weil 3x raus zum helfen und Bett neu beziehen usw…
Nur, dass es bei einem Kind mit der Zeit immer besser wird, bei einer Patientin mit Demenz und PS 2 eher nicht…
Ich habe es geschafft, habe Federn gelassen, möchte es aber ich nicht missen, ich weiß jetzt, was ich kann und was nicht. Es war eine wirksame Erfahrung.
Hast du es jemals bereut, dass du dein Hobby zum Beruf gemacht hast?
Nie, nicht eine Sekunde. Manchmal bereue ich es, es nicht früher getan zu haben, aber dann denke ich auch: alles ist gut so, wie es ist.
Was waren die größten Umstellungen beim Schritt in die Professionalität?
Es war ein schleichender Prozess, als Büroangestellte mit Nebenberuf Tänzerin und Trainerin, dann die schöne Zeit in der Tanzschule, in der mein Tagesrhythmus ähnlich dem von heute war, dann noch mal zurück ins Büro für 3 Jahre, (das war eine schreckliche Umstellung,!) dann endlich zurück in den Tanz und nur noch in den Tanz.
Ich musste am Anfang erst lernen, mir den Tag einzuteilen.
Und was natürlich erschwerend hinzukommt: Man hat kaum noch Freunde. Oder nur solche, die einen ähnlichen Tagesablauf haben.
Denn wenn ich frei habe, arbeiten die anderen. Und wenn ich fertig bin mit arbeiten, dann liegen die meisten meiner Bekannten schon im Bett.
Mein Mann hat mittlerweile einen Job mit ähnlichen Arbeitszeiten, das ist ganz gut für die Beziehung, alles andere wär schwer.
Was sind die wichtigsten Fähigkeiten, die du in deinem Beruf brauchst?
Geschäftlich: Durchhaltevermögen, gute Nerven, auch wenn es mal nicht so läuft, Networking mit Kolleginnen.
Im Unterricht: Geduld, Liebe zu den Menschen und Liebe zum Tanz. Das schließt freundliche Ehrlichkeit mit ein.
Wie hat sich die Branche seit deinen Anfängen 1991 verändert?
1991 bekam man für einen Auftritt 350-400 DM, ohne dass der Auftraggeber murrte. Heute ist es mitunter schwer, eine Gage von 180-200 Euro zu rechtfertigen, weil es zu viele Tänzerinnen unter Preis gibt. Inflationsbereinigt sind die Gagen also gesunken.
Die Werbung ist optisch schöner geworden. Am Anfang waren es kopierte Zettel, heute kommen Hochglanzprospekte daher. Die Workshops sind trotzdem leerer. Ich mache viel weniger Printwerbung als früher.
Das Internet ist natürlich ein großer Geschäftsfaktor: Früher kamen die Anmeldungen per Post, heut per Email oder über soziale Netzwerke. Die Webseite muss immer up to date sein, fast alle informieren sich heute online.
Dadurch ist es auch viel einfacher, an Material zu kommen, was ich sehr begrüße. Ich mag mündige Schülerinnen. Fast alles ist über das Web einfach verfügbar, ob das nun Wissen ist oder Musik oder Kostüme.
- Ich kann mich erinnern, dass früher gern mal Kassetten verkauft wurden und nicht dazu gesagt wurde, wie das Lied heißt.
- Oder dass die Adresse von einem Tanzzubehörladen aus Boppard unter der Hand von Trainerin zu Trainerin ging, damit die Schülerinnen nichts mitbekommen.
- Oder behauptet wurde, dass der Plattenhändler aus Berlin ausschließlich für Profis sei und wenn man keinen Gewerbeschein hätte, dürfte man dort nicht bestellen und all son Quasch.
- Und der Unterricht von einer bestimmten tollen Lehrerin in Berlin sooooo schwer sei, dass man da als einfache Tanzschülerin keinen Unterricht nehmen könnte. Nur für Profis.
Als ich dann durch Zufall 1990 oder so eine “Halima” in die Hand bekam, habe ich mich tierisch gefreut:
Da waren die ganzen Adressen drin, die ich “dooooooofe” Schülerin ja noch gar nicht haben sollte…. Tabou…. Canzone… Beata Zadou, heute Cifuentes.
Da war die Welt auf einmal viel einfacher.
Eines hat sich nicht geändert: Es gibt nach wie vor stille fleißige Leute, die einfach gut ihren Job machen und von der großen “Szene” weithin unbeachtet gute Qualität abliefern, aber ihre Arbeit nicht laut beschreien.
Und es gibt große Blender, die mit Superlativen und vollmundigen Ankündigungen nur so um sich werfen, die aber auch nur mit Wasser kochen und wenn man dann dahinter schaut, ist es alles nur heißer Dampf.
Ich habe viele Trends gesehen. Ob das nun die große “Säbeltanzattacke”, die “Spanisch-Arabisch-Welle” oder die “Isis-Wings-Inflation” war. Oder andere. Ich habe sie kommen und gehen sehen. Und interessiert zugesehen. Und mir meinen Teil gedacht.
Zur Zeit beobachte ich interessiert ein anderes Phänomen: Normierungen, Wettbewerbe und Zertifizierungen. Mal abwarten, was sich so hält.
Wünschst du dir die alten Zeiten zurück oder freust du dich über diese Entwicklungen?
Och nö, es war nicht alles besser früher. Eine Sache vielleicht: Es wär schön, wenn es wieder mehr angemessen bezahlte Auftritte mit Livebegleitung gäbe, dem trauere ich etwas hinterher.
Und ich vermisse die schönen schweren Kostüme von Abla mit den fetten Gürteln und den langen Fransen, ich bin da altmodisch…
Ansonsten: So wie es jetzt bei mir ist, ist alles gut. Außerdem muss ich ja nicht alle Entwicklungen mitmachen. Mittlerweile kann ich beurteilen, was für mich wichtig ist und was nicht und was in gewisser Weise das Potential hat, dauerhaft zu sein.
Wer immer allen neuen Trends hinterherrennt, kommt eh nicht an, sondern rennt, bis die Energie zuende ist.
Wenn du heute noch einmal von vorn anfangen würdest, was würdest du anders machen?
Ich habe einmal bei dem Versuch, neue Studioräume zu finden, einen Fehler gemacht. Da habe ich nicht auf meinen Mann gehört. Den Fehler hätte ich gern vermieden. Das hat mich Geld gekostet. Seitdem hör ich echt auf seinen Rat.
Dann habe ich einmal nicht auf mein Bauchgefühl gehört und einen dritten Tanzraum dazu genommen am alten Standort, das war ebenfalls eine Fehlentscheidung. Ich war mehr mit Dozenten organisieren und Bürokram beschäftigt als mit Tanzen, das hat mich genervt.
Durch den Umzug in das neue Studio im Winter 2012-13 bin ich zwar quadratmetermässig größer aufgestellt, habe aber nur noch 2 Räume. Ich würde nie wieder einen 3-Saal-Betrieb haben wollen. Das ist ein furchtbar große Aufwand.
Ansonsten würde ich alles wieder genauso machen.
Welchen Rat würdest du angehenden Studiobesitzer/inne/n geben?
Oh, das würde ein Roman werden. Angefangen von der richtigen Standortwahl über die Schalldämmung und Ausstattung bis hin zur Auswahl von Geschäftspartnerinnen und Mitarbeiterinnen.
Das sprengt den Rahmen. Vielleicht wär das ein extra Artikel.
Grundsätzlich brauchst du — mal abgesehen von der Begeisterung für den Tanz — folgende Voraussetzungen:
- Ein ausreichendes finanzielles Polster, um die ersten 1-2 Jahre zu überstehen. Die sind schwer.
- Du solltest krankenversichert sein und diese nie nie nie aufgeben! Egal was es kostet.
- Suche dir einen Fachbereich aus, der dich möglichst einmalig macht. Aber bitte keine Trend-Tanzart. Siehe mein Statement zum Thema Trend hinterherlaufen.
Such dir etwas dauerhaftes, was in der Orientalischen Tanztradition verhaftet ist. Etwas, das immer wieder in die Wurzeln geht und dir einen festen Stand verleiht.
Ich habe für mich den Bereich Zimbeln ausgebaut. Es liegt mir halt. Dazu Tanzgeschichte und Folklorekunde.- Du solltest gern mit Menschen arbeiten und die Fähigkeit haben, die Menschen da abzuholen, wo sie stehen.
- Für den Anfang kann es gut sein, zweigleisig zu fahren, das heißt noch in deinem erlernten Beruf zu arbeiten und nebenbei das Studio aufzubauen. Aber das mit dem Arbeitgeber absprechen, ganz wichtig.
Danke liebe Sahéla für das ausführliche Interview und die spannenden Einsichten!
Hast du noch Fragen an Sahéla oder möchtest etwas anmerken? Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht oder ganz andere? Lass es uns in einem Kommentar wissen.
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